„Was geschah mit Baby Jane?“

Manchmal gibt es einfach schöne Zufälle. Zum Beispiel wenn Manuela Linshalm mit ihren Puppen am Wiener Schubert Theater einen alten Hollywoodklassiker spielt, an diesem Abend auch noch Geburtstag hat und „Puppenlehrer“ Nikolaus Hajban vorbeischaut, um zu gratulieren.

Wien ist eine Kulturstadt. Klar. Wien hat viele Theater. Auch klar. Dass in so manch kleinem Puppentheater aber wahre Schätze zu finden sind, wissen die wenigsten. Im kleinen Schubert Theater am Wiener Alsergrund findet man immer wieder solche Schätze.

Wie zum Beispiel den mit zwei Hollywoodgrößen verfilmten Roman von Henry Farrell „What ever happened to Baby Jane“ als spannendes Figurentheater, 2013 ebendort uraufgeführt.

Nach dem beeindruckenden Stück „Paperman“ von Richard Panzenböck im Vorjahr habe ich heute (endlich) wieder einmal zutiefst ehrliche Standing Ovations erleben dürfen. Und das nicht nur, weil der Geburtstag von Hauptakteurin Manuela Linshalm zuvor vom sympathischen Theaterdirektor Simon Meusburger angekündigt wurde. Nein, dieser Applaus kam vom Herzen.

Whatever happened to Baby Jane? I see her old movies on TV, and they are always a thrill to me. My Daddy says I can be just like her. Well, I wish, I wish, I wish, I wish I were.

Manch einer wird sich vielleicht noch an den Hollywood-Klassiker „What ever happened to Baby Jane“/„Was geschah wirklich mit Baby Jane“ mit der großen Bette Davis und Joan Crawford von 1962 erinnern. Zwei Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die eine ein ehemaliger Kinderstar mit Shirley Temple-Aura, die andere ein ehemals gefeierter Filmstar, der seit einem mysteriösen Autounfall an den Rollstuhl gefesselt ist.

Ihr Herz gehört nur Daddy

Kinderstar „Baby Jane“ war seit jeher Daddy’s kleiner Liebling, war sie es doch, die das Geld nach Hause brachte. Obwohl rotzfrech konnte der Vater seinem „Goldmariechen einfach keinen Wunsch abschlagen. Blanche hingegen musste ihre gesamte Kindheit und Jugend im Schatten der übermächtigen Schwester stehen. Kein Wunder, dass sich die anfangs pummelige „Enten“-Schwester mit der Zeit zu einem schönen Schwan und gefeierten Filmstar entwickelt. Hass und Neid waren in der Traumfabrik schon immer die beste Motivation, es unliebsamen Gegnern heimzuzahlen.

„Man verliert sein Talent nie. Das hat Daddy immer gesagt…“

Mit den Jahren vergeht leider oft auch für die Größten der Ruhm. So auch bei den in die Jahre gekommenen Ex-Stars Jane und Blanche, die seit dem Tod der Eltern mehr schlecht als recht zurückgezogen in einer Hollywood-Villa leben. Blanche sitzt im Rollstuhl und ist ihrer trinkfreudig-launenhaften Schwester hilflos ausgeliefert. Zu Janes Alkoholkonsum paart sich auch eine nicht minder ausgeprägte Form der Schizophrenie. So wird nicht nur der geliebte Hausvogel Birdy als Abendessen serviert, nein, es wird grundsätzlich alles getan, um Blanche das Leben zur Hölle zu machen.

Gefangene im eigenen Haus

Als Blanche entkräftet versucht, den Hausarzt der Hudsons zu erreichen, schneidet Jane kurzerhand das Telefonkabel durch. Auch ein Hilferuf an die Nachbarin wird abgefangen. Um ihr Leben bangend schleppt sich Blanche mit letzter Kraft die Treppen hinunter ins Parterre, um erst wieder von Jane abgefangen und tyrannisiert zu werden. Die Lage scheint aussichtslos.

„Wir müssen zusammenhalten, du und ich! Wir sind ein Fleisch und Blut“

Wäre da nicht das Hausmädchen Elvira Stitt, die den Ernst der Lage erkennt und Hilfe holen möchte. Doch auch dieser Versuch schlägt fehl und Elvira wird von Jane im Wahn ermordet. Mrs. Bates, die gut informierte Spanner-Nachbarin der Hudsons, gibt der Polizei schließlich einen wichtigen Hinweis zum Mord des Dienstmädchens. Sie habe Jane Hudson genau vor zwei Tagen mit dem Auto wegfahren sehen. Und vor zwei Tagen geschah ja der grauenhafte Mord. Was für ein Zufall. Wo sie doch sonst so gut wie nie das Haus verlässt.

Grausames Psychospiel

Bevor die Polizei jedoch bei den Hudsons eintreffen kann flüchtet Jane mit ihrer Schwester an den Strand. Dort beichtet ihr Blanche im Sterben von Janes Unschuld am einstigen Unfall. Sie selbst habe damals versucht, Jane zu töten und sei ganz alleine für ihre Querschnittslähmung verantwortlich.

Auf sich allein gestellt kommt schließlich das ganze Ausmaß ihrer Geisteskrankheit zum Vorschein. Als die Polizei im Morgengrauen eintrifft und nach Blanche (s Leiche) fragt bringt die mittlerweile komplett Realitäts-entfremdete Jane den schaulustigen Zuschauern ein letztes mal ihre berühmte „Baby Jane“-Nummer „I’ve Written A Letter to Daddy“.

I’ve written a letter to Daddy, His address is Heaven above, I’ve written „Dear Daddy, we miss you, And wish you were with us to love“. Instead of a stamp, I put kisses, The postman says that’s best to do, I’ve written a letter to Daddy, Saying „I love you“.

(Music: Frank De Vol / Lyrics: Bob Merrill)

Normalerweise bräuchte es hier zumindest 3 SchauspielerInnen, besser noch fünf: Jane, Blanche, Mrs. Bates, das Hausmädchen Elvira und den Police Officer. All diese Rollen übernimmt hier glücklicherweise die hochtalentierte Manuela Linshalm, die einen völlig vergessen lässt, dass Jane und Blanche Puppen sind. Sie erweckt diese teils grusligen Gestalten mit einer Leichtigkeit zum Leben, die einen vor Neid erblassen lässt.

Dabei wechselt sie die verschiedenen Charaktere so gekonnt, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Das Puppenspiel liegt ihr sprichwörtlich im Blut.

Die Bühne spiegelt die Einsamkeit der alten Hollywood-Villa wieder, die auch schon bessere Tage gesehen hat. Und bringt uns ganz clever gelöst an den nächtlichen Strand. Alte Filme erinnern wehmütig an bessere Zeiten, die alten Filmsongs ergänzen die tragische Szenerie.

Als das Bühnenlicht erlischt stehen auch schon die ersten Zuschauer auf. Nicht weil sie gehen wollen. Nein, weil Manuela Linshalm hier einen alten Klassiker zu neuem Leben erweckt hat, und das mit so viel Liebe und Detailgenauigkeit. An ihrem Geburtstag. Da lies es sich Nikolaus Habjan (Inszenierung & Puppendesign) natürlich nicht nehmen, seiner Kollegin bühnentauglich zu gratulieren. Immerhin war er es ja, der Linshalm vor 10 Jahren ans Schubert Theater und zu den Puppen gebracht hat. Das Publikum dankte es der vielseitigen Schauspielerin mit langanhaltendem Applaus und Standing Ovations. Verdient!

Besetzung

Schauspiel/ Puppenspiel: Manuela Linshalm

Inszenierung & Puppendesign: Nikolaus Habjan

Puppenbau: Nikolaus Habjan, Marianne Meinl

Kostüme & Ausstattung: Lisa Zingerle

Lichtdesign: Simon Meusburger

Textfassung: Manuela Linshalm

Fotos: Bojan Kumm/Barbara Pálffy

Schubert Theater

e-Mail: info@schuberttheater.at

Webseite: http://www.schuberttheater.at

Facebook: https://www.facebook.com/schuberttheater/

Video: © Hammelfilm

Chefredakteurin bei CRITICAL MINDS MAGAZIN +++ Ressortleitung: Theater-Film-Stars +++ Davor als Kultur-Redakteurin tätig bei SCHiCKMagazin, KURIER Medienhaus und der Tageszeitung HEUTE.

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