Mit einer geschichtsträchtigen Premiere startete die Josefstadt am vergangenen Donnerstag mit Thomas Bernhards Nazi-Dramolette „Der deutsche Mittagstisch“ unter der Regie von Claus Peymann in eine nicht minder geschichtsträchtige Spielsaison.
Foto: Philine Hofmann Foto: Philine Hofmann
2017 schrieb ich noch über „Claus Peymann‘s Abgang mit Krach“ am traditionsträchtigen Berliner Ensemble. Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass ebendieser nur drei Jahre später just an jenem Ort, den er einst liebevoll als „Schnarch-Theater“ betitelte, am Theater in der Josefstadt, inszenieren würde.
Doch es wäre – ich kann es gar nicht oft genug betonen – nicht Herbert Föttinger, wenn er nicht auch zuletzt noch den ehemaligen Burgtheater-Chef an sein Haus geholt hätte. Mit allen Privilegien, versteht sich! Denn wenn der 83-jährige schon mitten im Achten werkt heißt die Devise: „Föttinger first. Peymann förster.“ André Heller hat den Theaterregisseur einst so wunderbar treffend beschrieben:
„Wer Peymann näher kennt, weiß, dass er eine Art Wohngemeinschaft ist. In ihm sind ein eleganter Herr gemeldet, ein trotziger, wunderbar verspielter Kindskopf, ein Grantscherm mit Tobsuchtsneigung, ein brillanter politischer Analytiker, unfähig zum Opportunismus.‘ Daneben finde sich ein ‚harmoniesüchtiger Zauderer, ein harscher Kolonialist – und ein behutsamer Entwicklungshelfer‘. Jeden Morgen […] werde per Ziehung entschieden, welcher Peymann Ausgang erhalte.“
André Heller, 1988
Eine Mords-Sensation ist das also allemal, wenn der einstige „Heldenplatz“-Skandalregisseur gerade dort Thomas Bernhard inszeniert, wo der Autor in selbigem Stück verlautbaren ließ, dass in der Josefstadt selbst aus den allerernsten Tragödien Operetten werden. Doch Schnarch-Theater sieht anders aus! Föttinger legt längst viel mehr wert auf Aktualität denn auf verstaubte Unterhaltung. Mit Peymann hat er sich zwar nicht den einfachsten Theatermann ans Haus geholt, dafür mit Sicherheit den Kultigsten.
Nazisuppe mit Nachgeschmack
Dass also auch dieses Josefstadt-Stück wiedermal brandaktuell ist lässt schon jener Satz aus der absurden Miniatur „Der deutsche Mittagstisch“ erahnen: „Jetzt hab ich aber genug / In jeder Suppe findet ihr die Nazis“. Fremdenhass und faschistoides Gedankengut treibt abermals seine Blüten. Nicht nur in unserem schönen Land. Nicht nur bei unseren deutschen Nachbarn, wo Bernhards Stück angesiedelt ist. Nicht ringsherum um uns. Nein, auch weit über den großen Teich schürt ein Orange-gebräunter Narzisst mit blond gefärbtem Haar Rassenhass und doof-polente Mordlust. Angriffe gegen die „linke Saupresse“ stehen längst an der Tagesordnung. A „Doda“ stellt sich als profanes Bündel aus Hakenkreuzplakaten dar. What else?
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„Nazisuppe! In jeder Suppe findet ihr die Nazis!“
In „Alles oder nichts“ regnet es wüste Attacken auf deutsche Spitzenpolitiker. Affinitäten zu manch heimischen Politikern („We’re going to Ibiza“) sind unabänderlich. Entstanden sind Bernhards sieben Minidramen zwischen 1987 und 1981. 1988 wurde das Werk schließlich veröffentlicht. Dieser prangt übrigens als teuflisches Konterfei über dem blutroten Bühnenportal, zwei kleine Engerl drangsalierend.
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Das Bühnenbild von Achim Freyer passt in die Josefstadt wie der Grantscherm zu Wien. Das lustige daran ist allerdings – bei aller Hochachtung für das Bühnenbild, erinnert es dennoch an die alten Operettenbühnen der späten 1970er. Wo man doch niemals, NIEMALS Alanlogien zwischen Peymann, Bernhard und Operettenleichtigkeit herstellen würde. Vielmehr ist es ein Puppentheater, in dem Peymann die Puppen tanzen lässt. Die Kostüme von Margit Koppendorfer sorgen zumindest für Farbexplosionen in dem sonst so graubraunen Nazisumpf.
So sind auch die Parallelen in „Alles oder nichts“ mit heimischen Politikerbuben auf Stimmensuche nicht zu übersehen. In „Freispruch“ stockt dem Publikum schließlich der Atem. Zuviel des Nazigutes. Zuviel des hirnlos Bösen. Doch man soll, nein, man MUSS hinsehen. Auch wenn die Chose derart zum heulen ist.
Sehr löblich auch das von Jutta Ferbers liebevoll gestaltete Programmheft mit einem wunderbar lebendig-farbenfrohen Fotofolder von Philine Hofmann und jeder Menge Information über das einstige Erfolgsgespann Bernhard/Peymann.
BESETZUNG
Regie: Claus Peymann
Bühnenbild: Achim Freyer
Kostüme : Margit Koppendorfer
Dramaturgie: Jutta Ferbers
Bühnenbild Mitarbeit: Victoria Philipp
Musik, Geräusche: Jan Brauer
Szenenfotos: Philine Hofmann
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A DODA
Erste Frau: Ulli Maier, Zweite Frau: Lore Stefanek
MATCH
Kroll: Robert Joseph Bartl, Maria: Sandra Cervik
MAIANDACHT
Erste Nachbarin: Ulli Maier, Zweite Nachbarin: Traute Hoess, Totengräber Zorneder: André Pohl, Grabhügel: Raphael von Bargen, Pfarrer: Robert Josef Bartl, Türken: Raphael von Bargen, Robert Josef Bartl, Marcus Bluhm, Michael König, Lore Stefanek, Bernhard Schir
FREISPRUCH
Herr Sütterlin, Massenmörder: Michael König, Herr Hueber: Bernhard Schir, Herr Mühlfenzl: André Pohl, Frau Sütterlin: Lore Stefanek, Frau Hueber: Traute Hoess, Frau Mühlfenzl: Ulli Maier
EIS
Erster Ministerpräsident: Michael König, Erste Frau: Traute Hoess, Zweiter Ministerpräsident: Robert Josef Bartl, Zweite Frau: Ulli Maier, Eisverkäufer: Raphael von Bargen
ALLES ODER NICHTS
Bundeskanzler: Raphael von Bargen, Bundespräsident: André Pohl, Außenminister: Marcus Bluhm, Das Fräulein Redepennig: Sandra Cervik, Kanapee: ein Pekinese, Hundeführerin: Lore Stefanek, Der sogenannte Moderator: Bernhard Schir, Herr Gürgens: Michael König, Bühnenarbeiter: Robert Joseph Bartl, Traute Hoess, Ulli Maier
DER DEUTSCHE MITTAGSTISCH
Herr Bernhard: Michael König, Frau Bernhard: Traute Hoess, ihre Enkel/Urenkel,…: Ensemble
Premiere am 17. September 2020
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
THEATER IN DER JOSEFSTADT
Josefstädter Str. 26, 1080 Wien
WEBSEITE: https://www.josefstadt.org
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