„Mord im Orientexpress“

Am vergangenen Donnerstag feierte Agatha Christies Krimiklassiker an den Kammerspielen unter der Regie von Werner Sobotka und in einer Bearbeitung von Ken Ludwig seine deutschsprachige Erstaufführung.

Ein Mord, viele Verdächtige und ein Tatort der etwas anderen Art: der exklusive Orient-Express, der auf seiner Reise zwischen Istanbul und Calais auf jugoslawischem Gebiet im Schneeverwehen stecken bleibt.

VERBRECHEN AUF SCHIENE.

Mittendrin der berühmte belgische Detektiv Hercule Poirot (famos: Siegfried Walther), der von Scotland Yard zu einem neuen Fall nach London einberufen wird. An dessen Seite Monsieur Bouc (Johannes Seilern), der Chef der Waggon-Lits, der seinem alten Freund gerade noch ein Ticket für den vollbesetzten Luxuszug besorgen kann.

Hat meine Generation den legendären Krimi von Agatha Christie dank seiner Oscar-reif besetzten Filmvorlage von Sidney Lumet (1974) zumindest noch halbwegs gut im Kopf, musste ich am vergangenen Premieren-Donnerstag in den Wiener Kammerspielen feststellen, dass unser jüngeres Publikum mit dem Agatha Christie-Klassiker teils nicht mehr so bewandert ist. Trotz Kenneth Branaghs ganz passablem Orientexpress-Remake vor haargenau zwei Jahren mit Johnny Depp.

FÖTTINGERS GESPÜR FÜR FILM AM THEATER

Dass Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger wiederum ein Faible für große Filmvorlagen hat ist längst bekannt. Dass er diese aber auch immer wieder sehr erfolgreich auf die Bretter der Josefstadt bringen lässt ist schon ein Phänomen.

Das Besondere an diesem Agatha Christie-Klassiker ist (und da dürfte ich wohl nicht die einzige sein): Irgendwie schafft man es immer wieder aufs Neue zu vergessen, wer eigentlich der Täter ist. So kann man sich – zumindest bis zu den berühmten Messerstichen – voll und ganz auf ein neues Abenteuer einlassen.

An Bord des dekadenten Expresszuges trifft Poirot also schließlich auf eine ominöse Gruppe Mitreisender: Da wäre einmal der amerikanische Geschäftsmann Samuel Ratchett (in dieser Rolle großartig: Paul Matic) und dessen Assistent Hector MacQueen (immer wieder köstlich: Martin Niedermair). Dann Gouvernante Mary Debenham (Alexandra Krismer) mit ihrem „Gspusi“ Oberst Arbuthnot (ebenfalls Paul Matic. Warum dieser hier jedoch eine Doppelrolle spielen muss ist fraglich, denn diese legt er eher spröde an).

AN DIE BERGMANN KOMMT KEINER RAN

Weiters sind da Prinzessin Dragomiroff (Marianne Nentwich) mit ihrer gottesfürchtigen Begleitung, der nervig-naiven Missionarin Greta Olsen (die Darstellung wird der für diese mit einem Oscar ausgezeichneten Ingrid Bergman leider bei weitem nicht gerecht: Therese Lohner).

Belebend hingegen präsentiert sich Gräfin Andrenyi (was für eine schöne Performance von Michaela Klamminger, die durch Streichung diverser Charaktere durch Dramatiker Ken Ludwig („Othello darf nicht platzen“) gleich auch noch zur Ärztin umfunktioniert wurde) und Ulli Maier als offensiv flirtende Witwe Mrs. Hubbard, die wiederum ein ganz klein wenig an die große Lauren Bacall erinnern könnte.

OSCARREIFES BÜHNENBILD

Ein weiteres Highlight ist neben Siegfried Walther und dem wunderschönen Bühnenbild von Walter Vogelweider (er löst die Zugthematik perfekt mittels in Art Deco gehaltener Drehbühne auf) unbestritten Markus Kofler in der Doppelrolle des spleenigen Schaffners Michel, wie auch eines Istanbuler Hotelkellners, der alleine schon durch seine schwarzhaarige Perücke zum Schreien komisch wirkt. Kofler hat sich inzwischen als ernstzunehmender Komiker entwickelt, wie man bereits in den „39 Stufen“ sowie in „Arsen und Spitzenhäubchen“ sehen konnte.

Und ebendieser Schaffner (Kofler) hat es offensichtlich kommen sehen: Eine Schneelawine stoppt den Zug auf freier Strecke im tiefverschneiten, jugoslawischen Nirgendwo.

Foto: Astrid Knie

DIE ÜBLICHEN VERDÄCHTIGEN

Am nächsten Morgen ist einer der Passagiere tot – erstochen – mit acht Messerstichen. Hercule Poirot nimmt die Ermittlungen auf. Bald stellt sich heraus, dass es sich bei dem Opfer Samuel Ratchett um den international gesuchten Gamaschen-Gangster Cassetti handelt, welcher für den Mord an der kleinen Daisy Armstrong verantwortlich ist. Trotz widersprüchlicher Indizien wird Poirot („Mir gehen die Verdächtigen aus!“) schnell klar: hier ist jeder mit jedem verstrickt.

Hercule Poirot-Interpretationen gibt es so einige: Da waren zum Beispiel Albert Finney, Peter Ustinov und Kenneth Branagh, um nur einige zu nennen. In der deutschen Erstaufführung darf nun Siegfried Walther dran. Die Rolle ist ihm auf den Leib geschneidert. Mit einer feinen Prise aus Humor und Charme legt er den sonst so arroganten Krimidetektiven an. Da stört auch kein Versprecher. Im Gegenteil, es macht den schnauzbärtigen Belgier gleich noch sympathischer.

FAZIT

Die sonst so bühnenwirksamen Josefstadt-Mimen kämpfen in diesem Stück gegen ein wirklich perfekt umgesetztes und wunderschön anzusehendes Bühnenbild (Walter Vogelweider) an. Diese werden noch einwandfrei unterstrichen durch die eleganten Kostüme von Elisabeth Gressel, geniale filmische Einlagen von Jan Frankl und einem tollen Licht von Manfred Grohs (und Ali Essen!).

Man hat beinahe das Gefühl selbst Fahrgast im von Schneetreiben umgebenen Orient-Express zu sein. Erfolgsregisseur Werner Sobotka hat gut gearbeitet, wenngleich so mancher Schauspieler hier nicht zu seiner Höchstform auflaufen kann. Ein Renner wird es allemal.

BESETZUNG

Regie
Werner Sobotka

Bühnenbild
Walter Vogelweider

Kostüme
Elisabeth Gressel

Hercule Poirot
Siegfried Walther

Monsieur Bouc
Johannes Seilern

Mary Debenham
Alexandra Krismer

Hector MacQueen
Martin Niedermair

Michel (Schaffner) / Oberkellner
Markus Kofler

Prinzessin Dragomiroff
Marianne Nentwich

Greta Ohlsson
Therese Lohner

Gräfin Andrenyi
Michaela Klamminger

Mrs. Hubbard
Ulli Maier

Oberst Arbuthnot / Samuel Ratchett/Cassetti
Paul Matic

KAMMERSPIELE DER JOSEFSTADT

Rotenturmstraße 20, 1010 Wien

Webseite: www.josefstadt.org

Facebook: https://www.facebook.com/TheaterinderJosefstadt/

Chefredakteurin bei CRITICAL MINDS MAGAZIN +++ Ressortleitung: Theater-Film-Stars +++ Davor als Kultur-Redakteurin tätig bei SCHiCKMagazin, KURIER Medienhaus und der Tageszeitung HEUTE.

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