„Monsieur Pierre geht online“

Die Bühnenfassung des (im Deutschen) gleichnamigen Pierre-Richard-Films feierte am vergangenen Donnerstag unter der Regie von Werner Sobotka in den Kammerspielen eine vielumjubelte – und vorerst wohl letzte – Premiere. Zumindest vor dem erneuten Kultur-Lockdown.

„Ich habe das Internet gelöscht!“

Wie oft habe ich diesen Satz früher gehört! Daher: Sind wir nicht alle ein bisschen Alex? Wir, die Generation, die unseren Eltern und Großeltern zum Ende der 1990er und zu Beginn der 2000er-Jahre das Internet und deren unmögliche Löschung per Mausklick erklären mussten. Wir, die wir zu den Feiertagen nach Hause kamen, um den Verwandten zu erklären, wie man ein „Window“ öffnet, um dann bekrittelt zu werden, sie verstünden auch in ihrem Alter noch ausgezeichnet, wie man ein Wohnzimmerfenster öffnet. Wir, die wir ihnen semi-geduldig wie mitleidig die grundlegendsten Dinge in Sachen Computerhandhabung beigebracht haben. Dass ein Browser zum Beispiel wenig mit einer Dusch-Brause zu tun hat, Safari nicht nur eine Tour durch Afrika bedeuten muss und Jobs von Apple so gar nichts mit einem Apfelverkäufer zu tun hat.

So auch Alex (Claudius von Stolzmann), der dem ehemaligen Buchhändler Pierre (gewieft und berührend: Wolfgang Hübsch) auf Wunsch/Befehl dessen überfürsorglicher Tochter Sylvie einen Internet – und Computer-Crashkurs erteilen muss. Dass Alex jedoch auch der neue Freund seiner Enkelin Juliette ist wird dem griesgrämigen Witwer mit der ewig gleichen Strickjacke auf Anraten Sylvies gleich mal verschwiegen. Viel zu sehr hängt man noch an Juliettes erfolgreichem Ex Davide, der aktuell in Shanghai einen auf Big Business macht (amüsant: Martin Niedermair). Klar, dass Alex bei so einer Vorlage von seiner Freundin und deren „Schwieger-Monster-Mutter“ als Drehbuchautor im hauseigenen Homeoffice gar nicht erst ernst genommen wird.

Nachdem Pierre seine ersten Schritte in Sachen Computerhandwerk gelernt hat („Das ist ja ein Teufelszeug!“), stößt er schon bald auf eine Partnervermittlungsseite. Dort meldet sich der 80-Jährige – mit dem auf seinem Laptop einzig verfügbaren Foto, nämlich dem seines 31-jährigen Internet-Coaches – unter dem Pseudonym „pierrot89“ an. Nach einigen Pleiten und Penisvergrößerungs-Seiten lernt er schließlich die junge, charmante Flora (beeindruckend charmant: Martina Ebm) kennen – und lieben.

„Das Schreiben mit dieser Frau hat mir nach langer Zeit wieder das Gefühl gegeben, lebendig zu sein!“

Umgesetzt wird die Korrespondenz zwischen dem alten Mann und der jungen Frau mittels Off-Stimmen und den von beiden geschriebenen Sätzen, die sich nicht nur im Zimmer liebevoll in die Wände und Bücherregale meißeln, sondern auch in Pierre’s Herz. Als Flora „Pierrot89“ jedoch nach Wochen des wortgewaltigen Chat-Austausches in Persona kennenlernen will, muss er den eh schon seelisch geprügelten Alex in sein kleines „Liebes-Dilemma“ einweihen. Das Chaos ist somit vorprogrammiert!

Pierre überredet Alex mit viel Witz und französischen Francs, mit ihm nach Brüssel zu fahren, um Flora zu treffen. Dieser muss nun – immédiatement – den wortgewandten Sinologen zum Besten geben (großartig hier das Trio Hübsch, Stolzmann, Ebm). Es kommt wie es kommen muss. Flora verliebt sich in Alex und landet, zu Pierre’s Verärgerung, mit ihm im Bett.

„Sie schreiben mit ihr in meinem Namen!“

„Und Sie schlafen mit ihr in meinem Namen!“

Zurück in Paris, kündigt Alex Pierre nicht nur den Unterricht sondern auch noch die Freundschaft und widmet sich wieder seinem Drehbuch für einen Crime-TV-Pitch (amüsant auch das Video-Intro von Jan Frankl mit Regisseur Werner Sobotka als TV-Produzent, welches man gegen Ende hin gerne noch aufgelöst gesehen hätte). Pierre chattet indes als „Ghostwriter“ in Alex Namen weiter mit Flora bis diese, in einem Anflug von Sehnsucht beschließt, auf Besuch zu kommen. Spontan bietet ihr Pierre an, bei dessen Großvater (= ihm) zu wohnen. So tauscht der inzwischen rüstig-erblühte Pensionist Strickjacke gegen schickes Gilet, fegt tänzelnd die bibliotheksähnliche Wohnung und bewirtet die frisch angekommene Flora mit Wein und Bestellservice-Sushi. Alex werde sich etwas verspäten, so Pierres Ausrede für Alex‘ Abwesenheit. Bei einem Glas Chardonnay will er ihr alles beichten. Doch dann taucht Alex tatsächlich auf und vermasselt dem großväterlichen Freund gehörig die Tour – im buchstäblichsten Sinne einer Retourkutsche – und macht diesen nun zum spontanen Vulkanologen. Um irgendwie aus dieser Misère raus zu kommen, plagt Pierre schlagartig sein altes Rückenleiden und die gelernte Psysiotherapeutin bietet dem netten Opi eine Massage an. Sehr zum Missfallen von Alex, der mittlerweile ebenfalls Gefühle für Flora hegt.

Am nächsten Morgen weiß man aufgrund von Pierre’s „drittem Frühlingserwachen“ erst gar nicht so recht: Wer jetzt mit wem? Sylvie und Juliette sind indessen fest davon überzeugt, dass es die junge „Masseuse“ lediglich auf Pierres Geld abgesehen hat und stürmen die (groß-)väterliche Wohnung. Was sie jedoch nicht wissen, ja gar nicht wissen können ist, dass Flora im Grunde ja in Juliettes Freund Alex verliebt ist – unschuldig ahnungslos. Mutter und Tochter stellen Flora und Pierre zur Rede, um letztlich zu erfahren, dass Flora mit Alex zusammen ist.

Das Chaos ist perfekt. Die Frauen flüchten und beide Männer werden nach einem wütenden, weiblichen „Sturm“ alleine „im Regen“ und in Unterhose stehen gelassen. Und weil es in Zeiten wie diesen so gut für das Herzerl ist, geht auch diese Geschichte gut aus. Happy-End für die „Ménage-à-trois“, für Flora und Alex, Happy-End für Pierre, der eine neue Liebe im „World Wide Web“ findet und Happy End für Juliette und Davide. Hach, wie romantisch!

Wolfgang Hübsch mag vielleicht anfangs nicht jedermanns (oder meine) Lieblingsbesetzung gewesen sein, allerdings spielt er das amouröse Aufblühen eines nach vielen Jahren in Einsamkeit verbitterten Greises so berührend, gewitzt und geistreich, dass er „tout suite“ zu meinem Lieblingsopi mutiert. Claudius von Stolzmann spielt souverän, bühnenwirksam und am Punkt, sorgt für zahlreiche Lacher, vielleicht aber eine Spur zu sehr unter Strom. Gerade er, der mit kleinen Gesten und leisen Worten so groß spielen kann. Mag aber auch Wunsch der Regie gewesen sein. Susa Meyer besticht als stets überbesorgte und überforderte Tochter wie auch Befehle erteilendes „Schwieger-Monster“. Martina Ebm zeigt sich von einer neuen und bezaubernd-femininen Seite. So neu übrigens, dass mancher Kollege sie nicht einmal erkannt hat. Das Französische steht ihr. Zudem brilliert sie mit „waschechtem“ Mandarin! Larissa Fuchs wirkt in dem sonst so eingespielten Ensemble ein wenig wie ein Fremdkörper. Man weiß nicht so recht, ob sie mit ihrer überdeutschen Schaubühnen-Spielweise überhaupt in die Kammerspiele passt. Sie ist trotz ihrer unumstrittenen Attraktivität immerhin so perfekt besetzt, dass man Alex um seinen Verlust in keinster Weise bedauert. Und was ist mit Sylvie? Die geht wie Papa Pierre online……und „parshippen“.

Folke Brabands Bühnenversion, sehr stark nach dem Filmstoff von Stephane Robelines „Un profil pour deux“ auf knappe 130 Minuten ausgerichtet, passt wieder einmal ausgezeichnet in die Kammerspiele. Französischer Liebes-und Verwechslungs-Boulevard kommt dort meistens gut an. Auch wenn das Cyrano-Thema hier nur am Rande zur Geltung kam. Die literarische Figur des nicht wirklich vorzeigbaren Verehrers, der aus eben diesem Grund einen anderen vorschickt, zählt immerhin seit der Antike zum Spiel-Repertoire an den Theaterhäusern der Welt. Hier ist es statt der übergroßen Nase halt das fortgeschrittene Alter. Werner Sobotka hat ein „faible“ und Gespür für feine Nuancen und Bühnenchemie. So sorgen seine Figuren nicht nur für plumpe Lacher, sondern auch für so manches Mitleidstränchen. Und nicht nur Ebm, Stolzmann und Hübsch sorgten an diesem Premierenabend für Gänsehautmomente, sondern auch der offensichtlich im Publikum stehende Theater-Lockdown für kommende Woche. Umso mehr wurde gelacht, gejubelt und geklatscht. Verdient!

Wolfgang Hübsch‘ Reaktion auf den bevorstehenden Theater-Lockdown?
Foto: Rita Newman

FAZIT: Was mit einer traurigen Film-Rückblende von Pierres verstorbener Frau beginnt, endet mit einem Happy-End-Filmchen von Pierre und seiner neuen Liebe. Dazwischen gibt es 130 Minuten feinste französische Komödie mit Tiefgang, bühnentechnisch ideal umgesetzt von Werner Sobotka. Martina Ebm, Wolfgang Hübsch und Claudius von Stolzmann sind die Helden des Abends, sorgen für zahlreiche Lacher – und Tränen. Das Bühnenbild von Walter Vogelweider verdeutlicht perfekt den krassen Gegensatz zwischen den Generationen, zwischen der guten alten Zeit und dem Hier und Jetzt. Humorvoll und durchaus sinnvoll ergänzt wird das Spiel noch durch Videoeinspielungen von Jan Frankl. Das zumindest hier angehauchte „Cyrano de Bergerac“-Thema ist wunderbar kurzweilig in unser Internet-Zeitalter transferiert.

Das Stück hat einfach alles, was ein Josefstadt-Dauerrenner braucht.

Trailer: Jan Frankl

BESETZUNG

Regie
Werner Sobotka

Bühnenbild
Walter Vogelweider

Kostüme
Birgit Hutter

Musik
Niklas Doddo

Dramaturgie
Leonie Seibold

Licht
Sebastian Schubert

Video
Jan Frankl

MIT

Pierre, ein älterer Herr
Wolfgang Hübsch

Sylvie, seine Tochter
Susa Meyer

Alex, deren Freund
Claudius von Stolzmann

Flora, eine junge, attraktive Frau
Martina Ebm

Juliette, deren Tochter
Larissa Fuchs

KAMMERSPIELE DER JOSEFSTADT

Rotenturmstraße 20, 1010 Wien

WEBSEITE: http://www.josefstadt.org

FACEBOOK: https://www.facebook.com/TheaterinderJosefstadt

TELEFONISCHE KARTENRESERVIERUNG: 01 427000

+++ACHTUNG+++

Ab Dienstag, den 3. November werden aufgrund von Corona, vorerst auf ein Monat befristet, alle Kultur-und Theatereinrichtungen auf Anweisung der Bundesregierung gesperrt. Wir hoffen alle inständig, dass die Theater mit Anfang Dezember wieder bespielt und besucht werden dürfen.

Chefredakteurin bei CRITICAL MINDS MAGAZIN +++ Ressortleitung: Theater-Film-Stars +++ Davor als Kultur-Redakteurin tätig bei SCHiCKMagazin, KURIER Medienhaus und der Tageszeitung HEUTE.

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