oder „Todescountdown eines Theaterkönigs„
Ein wenig absurd ist es ja schon, wenn der große Theatermann, Claus Peymann, mit seinen 84 Jahren just an jenem Ort inszeniert, den er einst so kläglich verschmähte: den Wiener Kammerspielen. Was wäre da also besser geeignet als ein Absurdes Theater über das Sterben selbst? Bitter süß und hoffnungslos inszeniert der eine Theaterkönig den Tod des anderen Bühnenkönigs. Sein Josefstadt-Debut war das allerdings nicht. Das hatte er bereits im Vorjahr mit „Der deutsche Mittagstisch“
„Was wir Gegenwart nennen, ist bloß der Zusammenprall von Gewesenem und Bevorstehendem – ein winziges Teil Sein, das sofort in die Elemente vergangenheit und Zukunft zerfällt.“
Eugène Ionesco
(c) Philine Hofmann (c) Philine Hofmann (c) Philine Hofmann
„Am Ende der Vorstellung bist du tot!“
Königin Margarete zu ihrem König
Ein Titel, der so morbid und zweideutig zu verstehen ist wie obiger, der mag auch für Kritiker einen nachdenklichen Beigeschmack haben. Vor allem, wenn man ein großer Bewunderer Peymanns, (sowie des ungekröntes Königs des Absurden, Eugène Ionesco) ist. Doch dieser lebende Theaterkönig „PEYMANN“, der ja dem Tod schon einmal erfolgreich von der Schippe gesprungen ist, tänzelte am gestrigen Premierensamstag freudestrahlend und mit flotter Sohle zum Schlussapplaus seiner Kammerspiel-Inszenierung von „Der König stirbt“ – und genoss dabei ganz offensichtlich das lang beklatschte Bad in der Menge. Der eine inszeniert – der andere stirbt. Und die Königin weint.
Mit Tränen der (zweiten!) Königin beginnt auch quasi Eugène Ionescos Einakter über das Sterben des Königs im wunderlichen „Wunderland Absurdistan“. Die Macht über sein Reich hat der kindlich-narrenhafte König (Bernhard Schir) ebenso kürzlich verloren wie sein volles Haar. Mit einem angekündigten (Todes-)Countdown von knapp einer Stunde und fünfzig Minuten wohnt man dem Sterben eines Mannes bei, der den Tod stets verdrängt hat und einfach keine Leiche sein will.
Um ihn herum gesellen sich die „gute“ und die „böse“ Königin symbolisch als des Königs Hoffnung und Gewissen. Königin Margarete, die Erste (Lore Stefanek) in trockenem Trauerschwarz, Königin Maria, die Zweite (Maria Köstlinger) in Unschuldsweiß und Tränenschminke. Um diese kontrastiert zankenden Frauen in XXL-Reifrock herum tänzeln auch noch des Königs Arzt (und Sternendeuter!) Johannes Krisch, Julchen, die königstreue Haushälterin und Krankenpflegerin (Johanna Mahaffy) sowie des Königs letzter Wächter und Situationsausrufer Marcus Bluhm.
„Der König ist tot, es lebe der König!“
Französisches Sprichtwort
Während sein Königreich und (Seelen-)Palast in Schutt und Asche versinkt, klammert sich das absurd-komische Königs“kind“ halb wach, halb ohnmächtig aber immer weniger bei Sinnen an sein Leben, die Vergangenheit und Macht. Wer lebt, das ist ganz klar, der stirbt auch eines Tages. Auch ein König. Das ist ihm durchaus bewusst. Nur nicht „so früh“. So sehr er auch befiehlt – niemand gehorcht ihm mehr, nicht mal sein eigener Körper. Die Zeit gerät aus den Fugen, während der Countdown (für ihn) weiterläuft.
Bernhard Schirs Spielfreude spürt man bis in die letzte Theaterreihe, Johannes Krisch und Lore Stefanek glänzen mit bitterbös-trockenem Galgenhumor. Maria Köstlingers tränenreiches Spiel bekommt fast etwas Puppenhaftes, was dem ganzen noch den letzten Schliff Absurdität verleiht. Und Johanna Mahaffy? Die bringt mit ihrem Spiel frischen und koketten Wind in die zerrissenen Theaterpalast-Wände, während Marcus Bluhm als Wächter etwas aufgesetzt (nicht nur sein Helm) wirkt.
Das Bühnen-und Lichtkonzept von Peymanns „BE-Buddy“ Achim Freyer ist wieder einmal märchenhaft. Allein das Schlussbild des toten Königs inmitten des unendlich weiten Sternenhimmels – ein Traum! Die Köstüme von Margit Koppendorfer passen farblich wie sinnbildlich perfekt in die absurde Szenerie. Dramaturgin Jutta Ferbers hat, wie schon im Vorjahr bei „Der deutsche Mittagstisch“ auch jetzt wieder ein höchst künstlerisch ansprechendes Programmheft mit den Szenenfotos von Philine Hofmann gezaubert.
FAZIT:
Ein Gegenwarts-legendärer Theaterabend vom Theaterkönig Peymann mit dem beeindruckenden Spielkönig Schir vom König des Absurden Ionesco. Und das alles märchenhaft schaurig verpackt. Wunderbar!

KAMMERSPIELE DER JOSEFSTADT
Rotenturmstrasse 20, 1010 Wien
INFOS & TICKETS: https://www.josefstadt.org/programm/stuecke/premieren-2021/22/stueck/der-koenig-stirbt.html
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BILDERGALERIE SZENENFOTOS (c) Philine Hofmann