„Die Strudlhofstiege“

Die Josefstadt startete am vergangenen Donnerstag mit Heimito von Doderers Mammutwerk „Die Strudlhofstiege“ in die neue Spielzeit. Regie führte Erfolgsregisseur Janusz Kica, der unumstritten zu Föttingers Lieblingsregisseuren avanciert ist. Für die Bühnenfassung zeichnet Nicolaus Hagg verantwortlich. 

„Wir Wiener blicken vertrauens­voll in unsere Vergangen­heit.“
Karl Farkas

Der Geist der Vergangenheit
Dort wo die Erde bebte
die Menschheit lebte
verloren die Zeit
erzählt der Geist der Vergangenheit

Zugegeben, ich hätte „Die Strudlhofstiege“ in meiner Schulzeit in Bad Aussee eigentlich lesen müssen, habe es aber Dank gezielt eingefädelter Fehlstunden tatsächlich geschafft, dieses „Monsterwerk“ österreichischer Literatur zu umgehen. Das literaturhistorische Bauwerk am Wiener Alsergrund war dennoch eine meiner ersten „must see’s“ als ich 1994 nach Wien übersiedelte.

Wien, viele Jahre zuvor, so zwischen 1910 und 1925.


Wären sie doch nur nicht da, die erschreckend lebendigen Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit.  Erinnerungen an „bohème‘sche“ Leichtigkeit, einen todesbringenden Krieg, gescheiterte Existenzen, vergeudete Chancen und eine wunderschöne Jugendstil-Stiege mit drei Rampen, 58 Stufen und einem 11 Meter hohen Geländeabfall.

Dunkel. Nebel. Zwei Gestalten in Uniform.


Der Geist der Vergangenheit verfolgt Major Melzer (Ulrich Reinthaller) in Form eines gefallenen Kameraden auf Schritt und Tritt. Zum Leben erweckt aus seinen Ängsten und traumatischen Erlebnissen, führt Major Laska (Roman Schmelzer) den ewig unbeweibten Sonderling stufenweise in ein Erinnerungslabyrinth aus gesellschaftlichen Begegnungen, Kriegsbewältigung, versäumten Chancen, mysteriösen Zwillingen, Tabak-Betrügereien und einem sonderbar offenen (Lebens-)ende.

Die „Strudlhofstiege“ muss hier als Symbol einer „Gesellschaftsbühne“ gesehen werden. Heimito von Doderers über 900 Seiten umfassendes Werk werden die wenigsten – zumindest bis zu Ende – gelesen haben. Trotzdem ist es ein nicht wegzudenkender Teil österreichischer Literatur. Ob das allerdings auch für das Theater gilt mag fraglich sein. Dank Kica ist das knapp zwei Stunden dauernde Stück phasenweise nett anzusehen.

Im Zentrum des „Fin de Siècle“-Stückes (welches von Nicolaus Hagg ansatzweise bühnentauglich geschrieben wurde) steht der ewige Single, „Major“ Melzer, der den Tod seines Freundes und Kameraden Laska ganz offensichtlich nie überwunden hat. Noch bevor er sich mit einer Pistole in den Kopf schießen kann holen ihn die nach und nach zum Leben erwachenden Geister der Vergangenheit ein, die erste Reise geht in die unbeschwerte Zeit der Jeunesse doree, der begüterten Oberschicht vor den Wirren des Ersten Weltkrieges.

Jener Zeit, als sich Dandys, Sommerfrischler und „Papas Kreditkarten-Snobs“ noch zum Tennisspielen am Land getroffen haben, -hier um die Annehmlichkeiten der wohlhabenden Familie Stangeler am Semmering zu genießen.

Inmitten der Sommerresidenz von Oberpatriarch Stangeler wird geflirtet, geschmust und gebudert was das Zeug hält. Im Gegensatz dazu sind Bühnenbild und Kostüme von Karin Fritz ziemlich schlicht gehalten. Eine sinnvolle Handlung mag man hier vergeblich suchen, vielmehr versucht sich Doderer in Personell-ausufernden Gesellschaftsverstrickungen, die aber so manchen Publikumsgast überfordern mögen.

Neben den zwei Hauptakteuren Major Melzer (überzeugend: Ulrich Reinthaller), der nach dem Krieg auf „Amtsrat der Tabakregie“ umsattelt und Major Laska (herausragend gut: Roman Schmelzer) taucht man gleich zu Beginn in die noch halbwegs heile Welt von Oberbaurat Stangeler (Michael König) samt seinen verschiedenen Töchtern Etelka (großartig dekadent crazy: Pauline Knof) und Asta (überzeugend gebrochen: Swintha Gersthofer) sowie dessen Sohn René (ein Gewinn für die Jo: Martin Vischer) ein.

Dazu gesellen sich Etekas Ehemann, Konsul Grauermann (leider etwas leise aber nicht minder gut: Matthias Franz Stein) und dessen Dandy-Buddies Teddy von Honneger (köstlich, der Bohème-Proll schlechthin: Alexander Absenger), Rittmeister von Eulenfeld (Dekadenz und Cholerik stehen ihm: Dominic Oley).

Zu den nicht minder wichtigen Nebenfiguren paaren sich noch die ominösen Zwillingsschwestern Editha und Mimi Pastré (Meisterlich: Silvia Meisterle), die selbstbewusste Paula Pichler (wunderbar feminin wie stark: Alma Hasun) und deren naive Freundin Thea Rokitzer (ebenfalls neu am Haus: Marlene Hauser). Etekas Liebhaber mimt Igor Karbus in der Rolle des Generalkonsul Fraunholzer.

Vom „Dolce Vita“ an der Rax geht es weiter an den Wiener Alsergrund. Rund um die Strudlhofstiege gibt es Begegnungen, Flanierereien, erotische Schleckereien wie ganz normale Alltagskrisen der endenden Monarchie. Oberbaurat Stangeler verliert durch Kriegsanleihen sein Vermögen, andere ihr Leben.

Melzer ist bis zuletzt der tragische Einzelgänger mit einer Vielzahl an versäumten Liebeschancen. 1925 legt er schließlich doch noch die lähmende Schockstarre des Krieges ab und verliebt sich in das naive Wiener Mäderl Thea.

Auf die Strudlhofstiege zu Wien

Wenn die Blätter auf den Stufen liegen
herbstlich atmet aus den alten Stiegen
was vor Zeiten über sie gegangen.
Mond darin sich zweie dicht umfangen
hielten, leichte Schuh und schwere Tritte,
die bemooste Vase in der Mitte
überdauert Jahre zwischen Kriegen.

Viel ist hingesunken uns zur Trauer
und das Schöne zeigt die kleinste Dauer.

Heimito von Doderer

Trotz der enormen Kürzungen kommt es stellenweise zu Längen, zu „Umwegigkeiten“, die aber nicht den Schauspielern (das Ensemble spielt durch die Bank famos!) anzukreiden sind. Kica hat sich hier einem äußerst schwierigen Stück angenähert und es bestmöglich umgesetzt.

Ganz besonders stechen in dieser Produktion Roman Schmelzer (aktuell sicher einer der besten Schauspieler am Haus), Pauline Knof (das Verrückte steht ihr wirklich gut), Ulrich Reinthaller als tragischer Single-Sonderling mit Transformation, Alma Hasun als taffe Jugendstil-Emanze, Swintha Gersthofer mit guten, komödiantischen Momenten und Alexander Absenger als amüsanter Bourgeoisie -Prolo hervor.

Dominic Oley kann sowieso alles spielen, der reiche Schnösel mit Hang zur Trinkerei und Cholerik steht ihm allerdings blendend. Auch Matthias Franz Stein hat seine Momente, etwas lauter könnte er noch sprechen.

Fazit: 

Ein ausgezeichnetes Ensemble welches das „Anti-Bühnenstück“ leider nicht zur Gänze retten konnte. Daher leider nur verhaltener Applaus. Den Schauspielern selbst hätte mehr Applaus zugestanden.

BESETZUNG

REGIE: Janus Kica
BÜHNENBILD & KOSTÜME: Karin Fritz
MUSIK: Matthias Jakisic
DRAMATURGIE: Barbara Nowotny / Matthias Asboth
LICHT:Manfred Grohs
BÜHNENBEARBEITUNG: Nicolaus Hagg

MIT:

Major Melzer, Amtsrat in der österr. Tabakregie: Ulrich Reinthaller
Major Laska: Roman Schmelzer
Oberbaurat von Stangeler, Vater:  Michael König
Etelka von Stangeler: Pauline Knof
Asta von Stangeler:  Swintha Gersthofer
Renè von Stangeler: Martin Vischer
Konsul Grauermann, Ehemann Etelkas:  Matthias Franz Stein
Rittmeister von Eulenfeld: Dominic Oley
Editha/Mimi Pastré: Silvia Meisterle
Teddy von Honnegger: Alexander Absenger
Paula Pichler:
 Alma Hasun
Thea Rokitzer, Geliebte des Rittmeisters von Eulenfeld:
 Marlene Hauser
Generalkonsul Fraunholzer, Etelkas Geliebter:
 Igor Karbus

Theater in der Josefstadt
Josefstädterstraße 26
1080 Wien
WEBSITE: www.josefstadt.org

Chefredakteurin bei CRITICAL MINDS MAGAZIN +++ Ressortleitung: Theater-Film-Stars +++ Davor als Kultur-Redakteurin tätig bei SCHiCKMagazin, KURIER Medienhaus und der Tageszeitung HEUTE.

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